Ich beginne den Tag mit einem Full Scottish Breakfast. Das ist noch ein bisschen härter als das englische, aber ich mag Haggis und Black Pudding eigentlich ganz gern. Die Bedienung ermuntert mich, auch beim kalten Buffet ordentlich zuzugreifen, ich müsse mich ja für die Wanderung stärken und das sei ja eh im Preis inbegriffen. Was soll man da machen? Ich will ja auch niemanden enttäuschen. Jedenfalls muss ich mich nach dem Frühstück nochmal 5 Minuten in meinem Zimmer aufs Bett legen, bevor ich den Rucksack aufsetze, um so meinem Bauch ein gefühlt etwa ebenbürtiges Ausgleichsgewicht entgegenzusetzen.
Auf dem Weg zum Hafen mache ich mir bewusst, wie dankbar ich meinem Körper sein kann: Nicht nur, dass er in der Lage ist, solche Mengen an Kalorien auf Vorrat aufzunehmen, er funktioniert auch beim Wandern ziemlich einwandfrei. Keine Blasen an den Füßen, keine Schmerzen in den Beinen, Schultern und Rücken tragen ohne Murren einen Sack voll Zeug durch die Gegend und bei allem, was ich ihm so zumute, sieht er auch noch blendend aus. 😉
Hier beginnt nun der John Muir Way. Auch an diesem Ende Dunbars gibt es einen Golfplatz (was ich bei 8000 Einwohnern beachtlich finde), den es zu umgehen gilt. Anschließend führt der Pfad etwa anderthalb Stunden durch das Mündungsgebiet des Tyne, eine von Wasserarmen durchzogene Sand- und Waldlandschaft mit vielen Seevögeln … und Emus und Lamas – die sind allerdings hinter einem Zaun und gehören wohl zu einem Familienausflugspark.
Die Tieridylle wird von zwei kleinen bunten Singvögeln (näher kann ich das nicht bestimmen) komplettiert, die disneyesque für ein paar Meter um meinen Kopf herum tanzen und wie die Weltmeister zwitschern. Ich sehe schon den Hasen Klopfer und Bambi auf der nächsten Lichtung stehen, um hallo zu sagen.
Der Weg entlang dieses Ausläufers des Tyne ist weniger spektakulär als die Küstenlandschaft der vergangenen Tage. Es geht landeinwärts, hauptsächlich entlang Wiesen und Feldern.
Nach gut zwei Stunden erreiche ich East Linton, das etwa die Hälfte meiner heutigen Etappe markiert. Eigentlich hatte ich vor, dort zu rasten, aber dann bin ich auch schon durch den Ort durch, ohne einen ansprechenden Platz gefunden zu haben. Überhaupt werde ich heute ohne längere Pause durchwandern. Ich bin in Gedanken bei allem Möglichen. Das beruhigt mich, denn gestern dachte ich schon, ich werde durch die ständige Fotografiererei und nachmittags oder abends das Blogschreiben trotz Wanderung gar nicht richtig zum Nachdenken kommen. Es gibt ja auch dauernd Neues zu sehen und zu erleben. Obwohl ja die Tage eigentlich immer gleich sind – aufstehen, laufen, lesen und schreiben, schlafen -, kommt bisher nicht das Gefühl von Routine oder Alltag auf.
Kurz vor North Berwick passiert man einen knapp 200 m hohen ehemaligen Vulkankegel namens Berwick Law, an dem, wie ich etwas neidisch feststelle, auch geklettert wird. Es ist erst kurz vor zwei und so beschließe ich meinen Rucksack zur Unterkunft zu bringen, etwas auszuruhen und dann zurück zu laufen, um Berwick Law zu besteigen.
When haddocks leave the Firth o’Forth,
And mussels leave the shore,
When oysters climb up Berwick Law,
We’ll go to sea no more.
Der Blick von dort oben über die Landschaft ist großartig und ich bin froh ein paar Minuten allein zu haben, bevor die nächsten Ausblicksucher kommen, denn die Erhebung scheint (zurecht) ein beliebtes Ausflugsziel zu sein. Ich kann im Dunst sogar die Firth of Forth Bridge sehen, die ich nächste Woche Mittwoch zu erreichen hoffe. Das Walfischgebiss, das hier einst die Fischer grüßte, ist inzwischen einer Nachbildung gewichen.
Und noch ein anderes Wegzeichen, dem ich die letzten Tage immer näher gekommen bin, den Bass Rock, sehe ich jetzt aus der Nähe und aus einer anderen Perspektive.
The Bass Rock
A mighty mass majestic, from the roots
Of the old sea thou risest to the sky
In thy wild, bare sublimity alone
(David Moir, 1851)
Den Abend lasse ich auf der Strandpromenade ausklingen und sehe noch zwei Mädchen zu, die in Neoprenanzügen laut kreischend im Wasser rumplanschen, bis es mir irgendwann vom Zusehen zu kalt wird und ich zurück ins The Folly, mein B&B, gehe.
25 km (29,5 inkl. Berwick-Law-Exkursion)
244 Höhenmeter (bzw. 454 m)
5,5 km/h durchschnittliche Laufgeschwindigkeit