Mein Frühstück besteht heute aus Obst, dem obligatorischen Toast mit Orangenmarmelade, dazu Tee und heute Rührei, weil ich vergessen habe, auch Speck zu bestellen. Kurzerhand beschließe ich – statt mich zu ärgern – heute einen vegetarischen Tag einzulegen. Das kann auch mal nicht schaden und ist gut fürs Karma.
Wieder scheint die Sonne und darüber freue ich mich außerordentlich – jeden Morgen aufs Neue, ist mir doch bewusst, welch unglaubliche Glückssträhne ich hier gerade erlebe. Klar, das wird nicht die ganze Zeit so bleiben, aber 1. Na und? Soll ich deshalb sicherheitshalber jetzt schon mal ein bisschen schlechte Laune haben? und 2. Wer weiß?
Heute ist wieder Golfplatzwandertag – Ich komme bestimmt an fünf oder sechs davon vorbei. Ansonsten ist die Landschaft zwischen North Berwick und Gullane, der nächsten größeren Ortschaft, noch immer vom Meer geprägt, auch wenn der Weg nicht direkt dem Küstenverlauf folgt.
Immer mal wieder fragt mich ein entgegenkommender Spaziergänger, ob ich die ‚full length‘ laufe, womit die volle Länge des John Muir Ways gemeint ist. Je nach Laune bejahe ich einfach oder ich erkläre, dass ich den letzten Teil auslasse, warte einen Augenblick für den dramatischeren Effekt und setze dann hinzu, dass ich noch weiter über den West Highland Way nach Fort William, von dort schräg rüber nach Inverness … usw. Als ich mich beim Naturschutzgebiet kurz vor Aberlady ausruhe, entwickelt sich so ein Gespräch mit einem schon rein äußerlich offensichtlich outdooraffinen Herrn, der berichtet, er sei viel in den Cairngorms und Highlands gewandert. Außerdem hat er eine dicke Kamera um den Hals, sodass wir weiteren Gesprächsstoff haben. Wir geben uns zum Abschied die Hand und ich freue mich, dass ich solche kleinen Begegnungen mit freundlichen Menschen haben darf.
In Aberlady sehe ich an einem Pub ein Schild, dass es hier für 10£ Roast Beef als Sunday Lunch gibt, aber ich erinnere mich gerade noch rechtzeitig, dass heute ja Veggie Day ist und hole mir in einem kleinen Laden einen sauscharfen Kichererbsensalat, den ich am Fuß eines Hochkreuzes aus dem 8. Jahrhundert nahe dem Friedhof einnehme.
Zum ersten Mal führt der Weg ein längeres Stück an der Straße entlang, aber es gibt einen breiten Bürgersteig. In einem Waldstück fallen mir große Betonklötze auf, die über mehrere Kilometer aufgereiht sind.
Die sind mir gestern schon aufgefallen und heute sehe ich, dass sich die Reihe einen Großteil des Strandes entlang zieht. Ich bringe in Erfahrung, dass es sich um Befestigungen zur Panzerabwehr aus dem 2. Weltkrieg handelt. Oops. Don’t mention the war.
Am Strand von Longniddry sieht es dank Sand, Sonne und blauem Himmel dermaßen nach Sommerurlaub aus, dass ich die 10 Grad Lufttemperatur ignoriere und jetzt zumindest mal mit den Füßen ins Wasser muss. Kurz. Und dann schnell wieder raus.
Gegen halb drei komme ich in Port Seton an, checke in meinem sehr schnuckeligen B&B The Anchorage direkt am Hafenbecken ein und lege erstmal die Füße hoch.
Ich könnte heute Abend Fish’n’Chips (Fisch ist ja kein Fleisch …) bei Bene’s direkt am Hafen essen, der hier die allerbesten, großartigsten panierten frischen Fische Schottlands zaubert, oder im Thorntree ein Pint trinken, wo schon nachmittags eine 60er-Jahre-Rock’n’Roll-Band spielt, aber nach einem Spaziergang durch die Sonne entscheide ich mich für Lesen auf meinem gemütlichen Zimmer.
Strecke: 23,5 km mit 141 Höhenmetern bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 5,6 km/h.
Hört sich alles sehr Zen an, lieber Jens. Ich bin auf die weiteren Einträge gespannt. Ich wünsch dir gutes Wetter und allseits trockene Füße.